God of War: Ragnarök Vom Hades nach Valhalla, oder etwas Herausragendes seit „The Witcher 3“

Hannes Letsch21 Minuten Lesezeit

Übersicht
Sony PlayStation, 2024

Was lange währt, wird darnach gut, nicht wahr? Mit dem im Dezember 2023 veröffentlichten DLC zu „God of War: Ragnarök“ ist das zweite Kapitel der Geschichte des Geistes von Sparta namens Kratos abgeschlossen. Seit der eindrucksvollen Ankündigung auf der E3 2016 baut Santa Monica Studio unaufhörlich an einem Gesamtwerk, das geschichtlich wie künstlerisch Aufmerksamkeit gebührt. Die vollzogene Transformation der eigenen, reinen „Hack `n` Slash“ oder „Brawler“ Videospiele ist ein Glanzstück, weil es gelang eine Ausnahme im Triple-A Spielemarkt modern zu übersetzen, ohne zu generisch, das heißt zu langweilige Spielerlebnisse abzuliefern. Der denkbare Verlust einer narrativen wie spielmechanischen Einzigartigkeit ist grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Die dahinterstehende Befürchtung einer Dominanz des Action-Rollenspielgenres bei Sony Computer Entertainment ist begründet, weil sowohl „Uncharted: The Lost Legacy“ (Naughty Dog, 2017), „Horizon Zero Dawn“ (Guerrilla Games, 2017), „Days Gone“ (SIE Bend Studio, 2019), „Ghost of Tsushima“ (Sucker Punch Productions, 2020) wie auch „God of War“ Crafting-Mechaniken nutzen, auf den gleichen Spielmechaniken aufbauen und sich der Schulterblickperspektive bedienen. Sie alle reihen sich daher nahtlos in die Spielphilosophie des RPG-Leuchtturms „The Witcher 3: Wild Hunt“ (CD Projekt RED, 2015) ein. Und weil „God of War“ ebenfalls antik-mittelalterliche sowie Monsterdesigns verwendet, ist die Parallelität für den gewöhnlichen Videospielinteressenten gegeben. Ein erstes Indiz, warum „God of War“ nicht unter, sondern auf gleicher Ebene etwa zu „The Witcher 3: Wild Hunt“ gedacht werden sollte, zeigt sich in der akribischen Herangehensweise der Entwickler:

God of War | Raising Kratos
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Es ist zwar noch vieles vom alten „God of War“ Konzept existent, allerdings geht Santa Monica Studio mit den beiden neuesten Titeln im ersten Schritt eher gen Beliebigkeit anstatt Einzigartigkeit. Die Tonalität wurde seit 2016 stark verändert. Comichaftes, grotesk Steroid Aufgepumptes wurde gänzlich gestrichen. Anders formuliert bemerkt man, dass „God of War 3“ (2010) in einer erkennbar anderen Zeit gedacht, entwickelt und publiziert wurde. Das klassische Modell eines Videospiels für „junge Männer“ ist nicht mehr. Szenen mit Nymphen im Liebesakt, die per sogenannten „Quicktime-Events“ steuerbar sind, würden höchstwahrscheinlich heutzutage eine Sexismusdebatte für Publisher Sony bedeuten. Das heißt, dass man sich dazu entschloss, sich in Richtung Mainstream zu bewegen. Der Vorteil ist, dass viele potenzielle Stolpersteine automatisch umgangen werden. Kritiken aneckender Designentscheidungen, die aus vielen Lagern stammen könnten, laufen daher ins Leere. Der Nachteil ist die angesprochene (Gefahr der) Beliebigkeit.

Das Fundament, auf dem alles baut

„God of War“ und „God of War: Ragnarök” müssen im Verbund besprochen werden, weil ersteres den gern verwendeten „Cliffhanger“ bildet und letzteres die Auflösung dessen ist. Beide Videospiele sind die komplette Kehrtwende zu den vorangegangenen Titeln der kalifornischen Entwickler. Weg vom linearen, bombastisch inszenierten non-stop Gedresche, hin zu einem offeneren, immer noch visuell eindrucksvollen, aber rhythmisierten „Hack ‚n‘ Slay“ Videospiel. Das neue Konzept wurde durch Rollenspielelemente und dem Wagnis eines riesigen Fokus auf eine facettenreiche Erzählung verschiedener Charaktere erweitert.

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Es wird allerdings bis zum Ende der Fortsetzung „Ragnarök“ mehr oder weniger offenbleiben, warum Kratos nach der eigenhändigen Zerstörung des Olymps, des einhergehenden Untergangs der antiken griechischen Welt und der Auslöschung seiner Herkunft in den Norden des mythologischen Europas zieht. Die Erkenntnis, ein Spielball der griechischen Götter gewesen zu sein, die schreckliche Einsicht, die eigene Familie selbst getötet zu haben und die unerfüllte Hoffnung als Nachfolger des Kriegsgottes Ares Vergeltung und damit Erlösung zu erreichen, ließen Kratos konsterniert, hilf- aber nicht hoffnungslos zurück. Sein charakteristisches Aussehen, das heißt seine Gräueltaten stehen ihm (weiterhin) ins Gesicht geschrieben. Seine aschweiße Hautfarbe ist der Fluch des Dorforakels, das seine bösartige Tat gegen seine eigene Familie beobachtete. Es brannte Kratos die Asche seiner getöteten Familie auf die Haut. Auch das rote Ganzkörpertattoo ist weiterhin Markenzeichen und die Erinnerung an seinen verstorbenen Bruder Deimos, der ein besonderes Muttermal trug und von Ares und Athene verschleppt wurde.

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Seine Geschichte, das Ziel oder die Prämisse ist recht eindeutig: Ohne die Möglichkeit, sein schlechtes Gewissen reinwaschen zu können, möchte Kratos in der Welt des nordisch-germanischen Pantheons einen familiären Neustart versuchen. Im Schatten der nordischen Götter baut sich Kratos eine kleine Existenz friedlich auf. Seine Frau Laufey schenkt Atreus, seinem ersten Sohn, das Leben. Die bedachte „Faye“ stirbt allerdings viel zu früh, was sowohl Kratos wie auch Atreus zusetzt. Ihr Wunsch, ihre Asche auf dem höchsten Berg der neun Reiche zu verstreuen, ist die Aufgabe ihres Mannes und Sohnes. Die Widrigkeiten auf dem Weg bilden die Spielzeit. In letzter Konsequenz bleibt Kratos im ersten Teil von „God of War“ weiterhin der tragische Held.

Der heitere Ritt durch die nordische Mythologie bleibt schemenhaft, weil Creative Director Corey Barlog eindeutig „God of War“ (2018) als Einleitung verstand. So manch einer dürfte sich an Hayao Miyazakis (Studio Ghibli) verzerrte Gewichtung von Einleitung, Hauptteil und Schluss erinnert fühlen. Auch dort wird oftmals eine detailversessene, wohlüberlegte und sehr lange Einleitung zur Vorstellung der Welt und der Beziehung der verschiedenen Charaktere zueinander etabliert, ehe einem Schweinsgalopp ähnelnd der Hauptteil durchgezogen und der Schluss eher mehr skizzenhaft als ausgearbeitet abgehandelt wird. „God of War: Ragnarök“ (2022) wird allerdings im Gegensatz zu einigen Filmen Miyazakis vieles zufriedenstellend auffangen.

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Die Geschichte von Eltern und Kind sowie deren Umgang miteinander ist das zentrale Thema, das immer wieder über beide Videospiele hinweg in Geschichten auftaucht, die Kratos und Atreus entdecken, erfahren oder selbst verkörpern. Ein weiteres bekanntes Konzept ist das des verhärteten Lebenskünstlers, dessen Herz durch seine Mitstreiter und die zu erfüllende, gemeinsame Aufgabe zusehends aufgeweicht wird. Das erste große Ziel, der Berggipfel, wird in „God of War“ immer gezeigt. Atreus wird in die Spielhandlung gut eingebunden, weil die Entwicklung seiner Persönlichkeit perfektioniert ist. Er wächst im Spiel. Kratos wird ihm vieles nur im ersten Teil zeigen müssen, wie etwa das Jagen. Das ständige Auftragen von Aufgaben, ehe Atreus agiert, wird sich in „God of War: Ragnarök“ ins Gegenteilige verkehren. Es ist klar erkennbar, dass die Entwickler von Santa Monica Studio versuchen Situationen herbeizuführen, die die Dramaturgie des Spiels befeuern. Ohne Atreus‘ Übereifer, späteren jugendlichen Leichtsinn, der Mutter entlehnten Herzensgüte und Aufgewecktheit wären manche Kämpfe weniger aufreibend und bedeutsam. Der Spieler selbst bemerkt von diesen Handgriffen wenig, weil dieser in der Immersion gefangen nur das Glücksmoment vernimmt.

Im Grunde hatte es „God of War“ im Jahr 2018 recht einfach positiv zu überraschen, weil alles im Spiel neu war. Die Spielwelt war nicht mehr das antike Griechenland, sondern der hohe Norden, in dem es (zu) viel zu entdecken gab. Fragen, wie Corey Barlog beziehungsweise Santa Monica Studio die nordische Mythologie neu interpretieren wird, wie die verschiedenen Protagonisten inklusive der Weltenschlange namens Jörmungandr sich verhalten werden, standen im Raum. Kratos, der auch davor nicht wirklich unterkomplex war, hatte plötzlich kein eindimensionales Ziel mehr vor Augen, sondern musste mehrere Bälle gleichzeitig jonglieren. Verstrickt in die Elternschaft/Erziehung Atreus, der Bewältigung der eigenen Vergangenheit und Verlustängste sowie die Wachsamkeit gegenüber den Machenschaften des Allvaters Odin und seiner Götterfamilie halten ihn nicht nur auf Trab, sondern überfordern ihn teilweise merklich.

Von Ragnarök bis Valhalla

„God of War: Ragnarök“ hatte es erheblich schwerer, weil der Glanz des Neuen verflogen ist. Es wird nahtlos dort geschichtlich weitergestrickt, wo zuvor aufgehört wurde. Auch dies ist ebenfalls ein Grund, warum „God of War“ und „God of War: Ragnarök“ nur zusammengenommen Sinn ergeben. Und weil es eine Fortsetzung ist, kennt man mehr oder weniger „alles“ bereits. Es ist ein Spiel, das man nicht anfassen sollte, ehe man „God of War“ (2018) durchgespielt hat. Man sollte sogar den Vorgänger gemocht haben, denn „Ragnarök“ ist keine abermalige Neuinterpretation, sondern eine lineare, geradlinige Erweiterung. Die viel zu kurze Rückschau zu Beginn von „Ragnarök“ leistet nicht ansatzweise das, was es braucht, um zu verstehen, wer welche Absichten warum hegt und in welchem Zustand sich die Welt befindet, in der Kratos und Atreus sich bewegen. Mehr als ein Lockern der verstaubten Gedächtnisstrukturen von „God of War“ wird nicht geleistet.

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Wer sich dennoch traut „God of War: Ragnarök“ blind anzugehen, wird in ein überladenes Spiel geschmissen, das einen von Anfang an mit Funktionen (Kampfsystem und Rollenspielmechaniken) zuschüttet. Gleichsam findet man sich inmitten einer Handlung wieder, die bereits im vollen Gange ist. Personen interagieren auf Basis bereits etablierten Wissens, ohne dieses nochmals zu äußern. Viele Charaktere sind schlauer als der ahnungslose Spieler, der mehr Fragen hat, als dass er Antworten erhält. Konflikte wabern, ohne deren Hergang zu verstehen. Kurzum: Es kann nicht empfohlen werden, „God of War: Ragnarök“ exklusiv zu spielen.

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In groben Zügen ist „Ragnarök“ und in Verlängerung „Valhalla“ eines der besten Spiele der letzten zehn Jahre. Die grundlegende Prämisse der Trauerbewältigung erfährt in „Ragnarök“ nicht nur ihren Höhepunkt, sondern auch ihre Auflösung. Die vordergründige Heldenreise ruckelt vor sich hin, weil Gottheiten und Halbgottheiten verschiedene Interessen, Absichten und Motive hegen. Der größte, selbstverursachte Konflikt aus „God of War“ hat das Potenzial eine hartnäckige, übermächtige Bedrohung zu verkörpern. Der nicht aufhörende Schneefall, der sogenannte Fimbulwinter, der die Götterdämmerung „Ragnarök“ einläutet, hätte die Peitsche sein können, die Atreus und Kratos nach vorne treibt, schnellstmöglich eine Lösung zu finden. Der Allvater Odin scheint leider eher vom Fimbulwinter beeindruckt zu sein als Kratos und Atreus selbst.

„Ragnarök“ versucht von Anfang an die Herzen des Spielers schier mit Gewalt aufzureißen. Gefühlt sterben in den ersten zwanzig Minuten des Spiels viele sympathische Tiere – dabei es nur Fenrir, ein Atreus loyaler Wolf ist, mit dem der Sohn Kratos viele Erlebnisse verbindet. Die Plattform, die dieses Detail der riesig verworrenen Handlung bekommt, ist derart groß, dass fast schon von einer emotionalen Manipulation des Zuschauers gesprochen werden kann. Trotzdem muss man dem Spiel zugutehalten, dass Motive und Themen, die sich um die Trauer- und Verlustbewältigung ranken, immer wieder aufgegriffen werden. Das heißt auch, dass die zu Beginn vorgestellten Tiere/Wölfe löblicherweise ihre Rolle im Spiel erhalten; auch der verstorbene Fenrir. Dadurch wird das manipulativ Billige fast gänzlich entkräftet; wenn auch erst zu einem späteren Zeitpunkt.

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Kratos, gesprochen und gespielt von Christopher Judge und Atreus, der von Sunny Suljic zum Leben erweckt wird, harmonieren in einer Art und Weise, die auch filmisch ohne Probleme funktionieren würde. Es empfiehlt sich sogar das Spiel im Originalton mit deutschen Untertiteln zu spielen, um die bestmögliche Immersion erleben zu können. Sie transportieren die sehr erwachsenen Geschichten auf eine Art und Weise, die packend, authentisch und feinfühlig ist. Wenn gleichzeitig diesen ernsten, teilweise konfus mäandernden Themen auch noch Zeit im Spiel gegeben wird, dann spricht einiges dafür, dass die Narration das hält, was sie verspricht.

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Die ab und an aufkommende Konfusion, in der der Spieler Schwierigkeiten hat nachzuvollziehen, was gerade eigentlich Bedrohung und Hilfe ist, ist das große Manko des Narrative-Designs. „God of War: Ragnarök“ ist ein Spiel, das Gefahr läuft zu sehr zu zerfasern und dadurch an Intensität zu verlieren. Dass es auch anders geht, zeigt beispielsweise eine eindrucksvoll umgesetzte Szene zu Beginn des Spiels: Odin, sein Sohn Thor und Kratos in einer Blockhütte bedeutet erhebliches Gewaltpotenzial. Wenn gleichzeitig der schmächtige Atreus zwischen diesen Giganten steht, ist die Brisanz der Situation kaum noch zu erhöhen. Leider wird solch ein explosiv spannender Knotenpunkt nicht noch einmal derart gestrickt werden. Die Wege der drei erwähnten Protagonisten werden sich in einer Art und Weise zerfasern, die die Eingangs beschriebene Beliebigkeit wieder gefährlich nahe heranrücken lässt.

Komplexes, forderndes Actionspiel

Kartos ist in „God of War: Ragnorök” ein kompetenter Kämpfer, der recht schnell alles zur Schau stellen kann, was er in „God of War“ (2018) bereits erlernte. Spielmechanisch bedeutet das, dass man überfordert sein wird die verschiedenen Kampfarten effektiv im schnelllebigen Geschehen zu kombinieren. Die actionreiche Inszenierung ist per se sehr befriedigend. Die Kämpfe sind umweltsensitiv, Teile der verschiedenen Arenen sind zerstör- oder nutzbar. Die Inszenierung orientiert sich auch kameraperspektivisch stark an einem Film. Es ist eine Stärke des Spiels, weil die Kämpfe allein perspektivisch gewaltig wirken. Der Schwierigkeitsgrad ist ab und an unerwartet hoch, weil die Bedeutsamkeit des Kampfes nicht mit der Schwierigkeit korreliert.

God of War Ragnarök | PlayStation Showcase 2021 Reveal Trailer
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Gegen Mitte des Spiels läuft der Spieler gegen eine Wand, selbst wenn er versucht zusätzliche Stärke über das Erledigen von Nebenaufgaben anzuhäufen. Extraboni und -ressourcen helfen nur bedingt, obwohl das Spiel mehrmals einen (plump) darauf hinweist. Verstreckte Truhen und Missionen kitzeln die Erkundungsneugier und trotzdem: Die Wand drückt dem Spieler die Nase platt. Die Erkenntnis, dass man das Kampfsystem nicht verstanden hat, bricht sich Bahn. Geduld und Reaktionsfähigkeit, dem Button-Smashing komplett absagen und mit taktischem Gespür zu agieren ist unabdingbar. Es ist erfrischend in solch einem narrativ getriebenen Spiel eine derartige spielmechanische Tiefe erkunden zu dürfen. „God of War: Ragnarök“ fordert trotz Actionspielcharakteristik telegraphierte Angriffe zu respektieren, Ausweichen und Kontern zu beherrschen und Gegner aufgrund deren Positionierung und Kampffähigkeiten zu priorisieren. Es ist möglich, jeden Konflikt zu bestehen, ohne Schaden zu nehmen. Das Können am Controller entscheidet, nicht aber der Zufall. Beeindruckende Videosequenzen verbissener „God of War“ Enthusiasten beweisen es auf YouTube nachschaubar.

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Unterfüttert wird das Ganze von einem System, das gemeistert werden will. Nicht nur die verschiedenen Kampfbewegungen und Kombinationsmöglichkeiten sollten kennengelernt werden, auch die verschiedenen Ausrüstungsmöglichkeiten und deren komplexe Auswirkungen auf die eigenen Kampffähigkeiten müssen studiert werden. Man kann all dies nicht ignorieren. Wer aufmerksam ist, wird sich mächtig fühlen. Es ist in Summe ein sehr belohnendes, ausgeklügeltes Spielkonzept, das in der Bezogenheit der verschiedenen Spielmechaniken überzeugt. Die Nervosität zum Schluss des Spiels, den Spieler mit Kämpfen zu überladen, ist schade. Die anfängliche Rhythmisierung zwischen Erzählung und Action geht im letzten Segment von „God of War: Ragnarök“ unnötigerweise verloren.

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Das Kaschieren von Ladesequenzen durch hochwertige Small-Talks (Anekdoten, Rätsel und Diskussionen) oder das Durchstreifen von kleinen Tunnelsektionen zwischen verschiedenen Weltsegmenten ist gelungen. Das Spiel mit Größenunterschieden, das heißt die Authentizität der magischen Götterwelten ist erfrischend. Kleine Rätsel, die sukzessive verkompliziert werden, stören den Spielfluss weniger. Tatsächlich hat „God of War“ es als lineares Spiel grundlegend nicht nötig, Rätsel zur Entsperrung von Toren oder Ähnlichem anzubieten. Allerdings wäre die Spiel-DNA ohne diese Puzzlevarianten nicht komplett.

Dass diese seichten Herausforderungen stören können, liegt nicht an ihrer Charakteristik per se oder dass sie ein Fremdkörper in der Welt sind. Es sind die nervenden, viel zu schnell zu vernehmenden Lösungstipps, die etwa Atreus in den Raum posaunen. Das ist ein erheblicher Designfehler, der die Spielmotivation komplett raubt. Sollte Santa Monica Studio das Momentane als passend verstehen, so ist zu unterstellen, dass die Entwickler vom Design ihrer eigenen Rätsel nicht überzeugt sind. Sie würden in letzter Konsequenz in diesen eher die Gefahr sehen, dass jemand das Spiel aufgrund eines nicht schnell gelösten Puzzles aufgeben wird. Die Rätsel stören nicht, sondern sollten sogar weiter in Richtung echter 3D-Puzzle entwickelt werden, um dem Kampf ein zweites, vollausgereiftes Standbein hinzuzustellen. Die Entwickler beherrschen es bereits ihre Puzzle intelligent und organisch in ihrer Welt zu implementieren. Sie repräsentieren die Umgebung und belohnen das Zeitinvestment. Die Cleverness, wie aus einem abgetrennten Puzzle ein integriertes Spielerlebnis wird, fehlt noch ein Stück weit.

Open-World zum Geschichtenerzählen?

Man kann sich darüber streiten, ob die großen, offenen Areale als Spielwelt die passende Grundlage für eine derart ausgefeilte geschichtliche Entwicklung sein können. Die Form einer beschränkten Open-World mit vielen Unterwelten ist offensichtlich der Versuch der Entwickler, die alten Fallen des Genres zu umgehen. Relativ paradox ertappt man sich altbekannt dabei, dass man Aufgaben (Nebenquests) erledigen kann, dabei die nordische Welt kurz vor dem Kollaps steht. Der Vorgänger „God of War“ hatte dieses Problem nicht, weil die große Bedrohung Fimbulwinter respektive Ragnarök nicht bestand. Das kathartische Erklimmen des höchsten Punktes der Welt zum Verstreuen der Asche passte zu einem Open-World Konzept. „God of War: Ragnarök“ kämpft damit und versucht sogar geschichtlich zu beschwichtigen. Das gelingt ab und an, aber nicht immer.

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Die Entwickler geben sich redlich Mühe den vielen Nebencharakteren jeweils eine sinnvolle Geschichte zu geben, die sich immer möglichst nahtlos in das Bestehende einwebt. Teilweise werden diese in Animation und Voice-Acting derart großartig auserzählt, dass man sich selbst dazu disziplinieren muss, den eigentlichen Fokus nicht zu verlieren. Man wird sogar im Zuge dessen erahnen, dass das Spiel nie so richtig wird enden können. Spieler weiterhin nach Abschluss der Hauptgeschichte am Spielen zu halten bedeutet, weiterhin Bedrohung in der Welt anzubieten. Das heißt, dass ein befriedigendes Ende nicht möglich ist. Weitere Überraschungen und Twists müssen gegeben sein. Die dramaturgische Möglichkeit des echten Abschlusses eines Kapitels ist nicht denkbar. Die Entwickler sind wegen der Open-World nicht in der Lage zu wissen, was der Spieler gerade eben getan hat, um narrativ-emotional sinnreich anschließen zu können. Und wieder lauert die Gefahr der Beliebigkeit wie ein Hai unter der Wasseroberfläche.

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Was diesem Kritikpunkt mildernd entgegengehalten werden kann, ist, dass Santa Monica Studio die verschiedenen Götterfamilien nicht als singulär existierende Welten begreifen, sondern unterstellen, dass diese wechselseitig voneinander Kenntnis haben. Sie überspannen das Reich Odins, Zeus, Res, Kukulcans oder Izanagis und Izanamis zu einem Gemeinsamen. Open-World bietet sich konzeptionell dadurch an, um die Größe der Götterwelt zu erleben und sich darin zu verlieren.

Eine Quintessenz zum Schluss

„God of War“ oder „God of War: Ragnarök“ allein auf Basis der wahnwitzigen, graphischen, handwerklichen Detailversessenheit auf ein Podest zu heben, wäre falsch. Die Anzahl der Nebenfiguren ist sogar derart in die Höhe geschraubt, dass sie dem Spiel teilweise schaden. Obwohl so viele gute Ideen auch in diesen stecken, findet „God of War: Ragnarök“ sein Erzähltempo lange Zeit nicht wirklich. Inszenatorisch ist Santa Monica Studios Zweiteiler unerreicht. Es hat allerdings Zuviel. Zuviel von vielem wie beispielsweise Nebencharakteren, was mit Notlösungen zusammengehalten wird, was bei genauer Betrachtung nicht Stand hält. Für das Spektakel und das Spielen funktionieren beide Videospiele.

Die Bosskämpfe sind im Vergleich zu den restlichen, konservativen Spielelementen der Innovationspunkt des Spiels. Über mehrere Arenen hinweg Götterkräfte entfesseln, gleichzeitig eingearbeiteten Dialogen zuzuhören, die dem jeweiligen Kampf eine gewisse, mehrdeutige Bedeutung geben, ist eine Mischung, die handwerkliches mit erzählerischem Geschick meisterlich verbindet. Dass sehr vielen „God of War: Ragnarök“ trotz der beschriebenen Unzulänglichkeiten gefällt, zeigt einerseits, dass Santa Monica Studio hochqualitative Spiele abliefert. Es bedeutet aber auch andererseits, dass in sich gänzlich stimmige Geschichten (leider) nicht wirklich von Belang sind. Umfang, viele gut protokollierte Kampf- und Sammelaufgaben auf einer entsetzlich großen, abzugrasenden Karte scheinen das Nonplusultra zu sein. Nicht umsonst dürften die neueren „Assassins Creed“ Videospiele (Ubisoft, seit 2017) derart erfolgreich sein. Wenn zusätzlich das Produktionsniveau derart angehoben wird, dass Ubisofts Werke qualitativ erheblich abfallen, dann scheint Erfolg auch in Form von „The Witcher 3: Wild Hunt“ buchbar.

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„God of War“ (2018) ist runder und konzentrierter als „God of War: Ragnarök“, was nicht bedeutet, dass der zweite Teil schlecht ist. Das Gefühl, dass sich über die Videospiele der verschiedenen Sony-Studios (Santa Monica Studio, Sucker Punch Productions, Naughty Dog, Guerrilla Games) eine gewisse Spielformel entwickelt, ist nicht von der Hand zu weisen. Strukturelle Flashbacks zu „Horizon Forbidden West“ (Guerrilla Games, 2022), „Ghost of Tsushima“ und anderen sind nicht auszuschließen und dämpfen die Qualität der Erzählung. Bedeutungsschwangere Ansprachen eines ansonsten eher wortkargen Kratos sind befremdlich idiotisch. Filme, die eine an sich spannende Geschichte auf niederem Niveau erzählen, sollten nicht Schablone sein. Es aufgrund einer Spielformel trotzdem förmlich einzuhämmern, ist ebenso befremdlich wie enttäuschend. Wenn es eine Sache gibt, die Santa Monica Studio erheblich besser machen kann, dann ist es die Rückkehr zu eigens verordneten, narrativen Sinnhaftigkeit eines „God of War“ (2018). Der Unwille, eine negative Emotion beim Spieler/Zuschauer verweilen zu lassen, darf nicht sein.

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