Deutscher Computerspielpreis Entrüstung ist Bekenntnis der Hilflosigkeit

Hannes Letsch9 Minuten Lesezeit

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Getty Images für Quinke Networks, 2017

Der Satz „Acta est fabula, plaudite!“, der mit Gaius Octavius Thurinus, Kaiser Augustus, in Verbindung gebracht wird, ist der in Retrospektive passende Satz zum Deutschen Computerspielpreis 2017 (DCP). Nicht die Gewinner, nicht die Verlierer, das heißt keine Persönlichkeit und kein Entwicklerstudio sind die nachgängige Krönung journalistischer Berichterstattung, sondern das Ablehnen des Preises für das beste „Game Design“, dotiert mit über 40.000 Euro, durch das Münchner Entwicklerstudios „Mimimi Productions“ für ihr Spiel „Shadow Tactics: Blades of Shogun“. Der Grund für den Protest scheint einfach: Gamestar liegt hierzu ein internes Dokument vor, das Unstimmigkeiten bei der Abstimmung nahelegt. Dadurch, dass in drei nicht näher erwähnten Preiskategorien jede Stimme aufgrund des knappen Abstimmungsergebnisses entscheidende Bedeutung erhält, bekommt das Ganze eine brisante Note. Eine abgelehnte Neuabstimmung bewegte „Game“ (Bundesverband der deutschen Games-Branche e.V.), einen der drei Ausrichter, dazu, die Vergabe der Preise in den betreffenden Kategorien nicht mittragen zu wollen. Acta est fubala, die Institution „Deutscher Computerspielpreis“ steht im Zentrum, und das nicht zum ersten Mal. Die Anzahl der Vorfälle lassen tatsächlich summa summarum über den Nutzen in der Grundsache ohne Weiteres streiten. Die Einblicke, die dieser neueste Eklat gewährt, ermöglichen zumindest halbwegs zuverlässige Deutungen zum Sinn dieser Preisverleihung.

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Ist die Preisverleihung eine Unterstützung?

Auf dem Blatt respektive im Netz gestaltet sich die aktuelle Theorie zur Preisvergabe als recht sinnig: Nicht nur fertige Spiele, sondern auch Innovationen in Hardware oder Software oder Alpha- oder Beta-Versionen eines noch nicht fertigen Spiels können laut FAQ eingereicht werden. Somit steht die Idee der finanziellen Unterstützung eines förderbedürftigen Projektes implizit auf der Agenda des Deutschen Computerspielpreises. Offiziell ist dieser Gedanke textlich in der Präambel wie folgt festgehalten:

Der Deutsche Computerspielpreis (DCP) ist das Instrument, mit dem Bundesregierung und Spielewirtschaft gemeinsam die Bedeutung von Computerspielen stärker aufzeigen und die Leistungsfähigkeit der Branche weiter fördern wollen. Er ist auch das Instrument, mit dem Eltern sowie Spielerinnen und Spielern Orientierung auf einem Markt gegeben werden soll, der sich durch seine Vielfalt auszeichnet.

– Deutscher Computerspielpreis

In der Praxis ist aber eine auf Projekte gezielte Förderung in jüngster Vergangenheit teilweise, in längerer Vergangenheit fast gar nicht gegeben, denn die bisherigen Preisträger sind über die Jahre hinweg in mehr als 75% aller Fälle bereits fertige Produkte. Das heißt, es werden Entwickler finanziell bezuschusst, die bereits zuvor auf festen Beinen standen und ihr Werk in Gänze veröffentlichen konnten. Den DCP als ein funktionales Förderinstrument zu bezeichnen, ist daher mehr als fraglich. Zumindest liefern die dokumentierten Zahlen bezüglich der Frage „Welche Spiele wurden ausgezeichnet?“ keine belastbare Basis zur Aufrechterhaltung der in der Präambel festgesetzten Förderungsziele.

Noch genauer: Die im DCP verankerte Referenzmittelförderung ist zwar grob beschrieben, die offiziellen Dokumente (Stand: April 2017) lassen aber nicht erkennen, warum eine Bezuschussung in kommende Projekte einfließen soll, bzw. warum eine solche Bezuschussung überhaupt Sinn macht. Die zugrundeliegende Annahme, dass ein Entwicklerstudio, das ein gutes Spiel veröffentlicht hat, auch in Zukunft mit Sicherheit wieder ein gutes Werk entwickeln wird, ist zwar naheliegend, hat sich in der Realität bislang aber häufig als Trugschluss erwiesen. Fördermittel werden in gängiger Praxis nicht zuletzt deswegen immer für bestehende oder bereits voll durchgeplante Projekte ausgesprochen (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft, Programme des Bundesministeriums für Forschung und Bildung usw.). Nur so kann laut den erwähnten Einrichtungen sichergestellt werden, dass die Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit, das Innovationspotenzial und andere wichtige Förderkriterien eingehalten werden können. Im Falle des DCP erfolgt die Förderung hingegen zunächst ohne Vorgaben. Erst nach zwei Jahren wird gegenüber dem Preisbüro ein geeigneter Verwendungsnachweis für das Preisgeld gefordert. Wer allerdings diese Verwendungsnachweise anschließend fachkundig einschätzt, ist ebenfalls nicht näher erklärt.

Kontrollinstrument einer neuen Kunstform

Alle Ausrichter des Deutschen Computerspielpreises (DCP) sind Teil des öffentlichen Institutionssystems: An der Spitze steht das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Der bereits erwähnte Bundesverband der deutschen Games-Branche e.V., kurz „Game“, und der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware, kurz „BIU“, komplettieren das Trio. Der jährlich stattfindende Deutsche Computerspielpreis ist dabei Teil des öffentlichen Sanktionssystems. Dabei sollte der Begriff der „Sanktion“ als Handlung verstanden werden, deren beabsichtigte Wirkung für den Betroffenen zumindest zunächst von keiner negativen Bedeutung ist (nach Hans Paul Bahrdt). Allerhöchstens können auf langfristige Sicht unter Umständen eine Besserung, Reintegration o.Ä. als Konsequenz ausgemacht werden. Diese sanktionsähnlichen Folgen, die der DCP auslösen kann, sind nicht vorhersagbar. Sicher ist das dagegen, dass er als Preisverleihung ausschließlich von Ermessensentscheidung bestimmt wird. Als Teil der institutionalisierten Belohnungssysteme hat er im Vergleich zu den Bestrafungssystemen einen weniger regulierten Charakter.

Getty Images für Quinke Networks, 2017

Kurzum: Der Deutsche Computerspielpreis ist neben der Funktion einer politischen Präsentationsplattform für jüngere Leute vor allem ein Instrument der Sanktionsgewalt zur Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Strukturen respektive des vorherrschenden, von der Mehrheit der Gesellschaft getragenen Normensystems. Es werden gewisse Rangordnungen im Bereich der Videospielwelt dadurch injiziert, dass man sie finanziell, das heißt von den Preisgeldern abhängig(er) macht. Die Ausrichter zeigen mithilfe des DCP, dass sie den Überblick besitzen und die Hand auf der nationalen Videospielbranche haben. Der Ausrichter bewertet oder delegiert diejenigen, die bewerten und ist somit Taktgeber. Der Rest der Videospielgemeinschaft wird bewertet. Dadurch wird sichergestellt, dass das gesamte Vorhaben nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern nach außen hin eine Struktur ersichtlich ist, in der sich jeder Betrachter oder Partizipierender wiederfinden kann und sofort die Möglichkeit eingeräumt bekommt, sich mit den anderen zu vergleichen. In letzter Konsequenz wird dadurch eine gewisse Konformität erzwungen, nach derer sich die Gesellschaft mangels Orientierung auch sehnt (vgl. z.B. Hans Paul Bahrdt).

Der Repräsentations- und Inszenierungscharakter der Ausrichter zur Verwurzelung innerhalb des öffentlichen Apparates ist ebenfalls zu beachten aber höchstwahrscheinlich für den DCP nicht von Vorrang. So sehr das Zitat Kaiser Augustus auch passen mag, die Zeiten, in denen aufgestellte Büsten, Theater- oder Bäderstiftungen zur Signalisierung eines gewissen Wohlwollens, Macht und Modernität verwendet wurden, ist vorbei. Vielmehr handelt es sich um das Praktizieren eines alten Rituals: Sobald ein neues, tragendes Element in die Gesellschaft Einzug hält, wird es entweder verteufelt und isoliert oder zum Teil des Systems. Das Preisgeld – egal ob erschlichen oder nicht – bekommt deshalb eine besondere Rolle, weil Geld innerhalb der modernen Gesellschaft die treibende Kraft in allen Bereichen ist. Mit den gestifteten Geldern wird eine Legitimation initiiert, die moralisch nicht existiert. Sobald die ersten Preise vergeben wurden, weil die Mehrheit der (unabhängigen) Entwicklerstudios finanziell äußerst belastet ist, wurde automatisch eine gewisse Legitimation erstellt, denn die Tatsache, dass bereits mehrere die Preise akzeptiert haben, ist Grund genug. Die Ablehnungsentscheidung seitens „Mimimi Productions“ ist für den DCP kein Beinbruch, denn zum einen existiert er bereits seit Jahren und zum anderen verbleibt der als Eklat eingestufte Vorfall eine Ausnahme, die bekanntlich die Regel bestätigt.

Stringente Ausrichtung und nachvollziehbares Handeln

Den Deutschen Computerspielpreis als eine Veranstaltung zu betrachten, die der Kunstform Videospiel gerecht wird, ist momentan verfehlt. Das Wort „Förderung“ schreibt man sich zwar auf die Fahnen, allerdings lassen die Ergebnisse der bisherigen Austragungen das Gegenteil schlussfolgern: Wenn fertige Projekte, die in der Spitzenklasse finanzieller Volumen rangieren, mit Geldpreisen ausgezeichnet werden (zuletzt „Zelda: Breath of the Wild“ oder „Witcher 3: Blood and Wine“ ohne Bezuschussung, „Anno 1404“ in 2010, „Crysis 2“ in 2012, „Lords of the Fallen“ in 2015, „Anno 2025” in 2016 als „bestes deutsches Spiel“ bezuschusst), dann steht das im krassen Widerspruch zum selbst Gesetzen. Mitunter wird dadurch nicht die Vielfalt bekräftigt, sondern durch die finanzielle Heraushebung eines eh schon starken Mitspielers der Branche eine gewisse Hierarchie zementiert.

Wenn im Zuge der momentanen Praxis die Ausrichtung des DCP nicht die Förderung sein sollte, dann müsste die verliehene Trophäe an sich genug der materiellen Auszeichnung sein. Allerdings würde dies bedeuten, dass der DCP sich zuerst als Qualitätszertifikat beweisen muss. Es braucht anerkannte Expertise innerhalb der Entscheidungsgremien die transparent in einer Art Gutachten (vgl. Nobel Preis Stiftung) erklären, warum welches Spiel ausgezeichnet wird, und welches nicht. Momentan bestehen die Jurys allerdings neben Spiele-Entwicklerinnen und -Entwickler auch aus Personen der Fachpresse, der Medienpädagogik und des Jugendmedienschutzes, der Wissenschaft und Forschung, der Politik sowie aus Spielerinnen und Spieler. Erst wenn dies erfolgreich mehrmalig gelingt, dann generiert der DCP als Instanz das nötige Ansehen, um durch die Trophäe als anerkanntes Qualitätszertifikat wirken zu können. Der jüngste Vorfall seitens „Mimimi Productions“ schädigt hier nachhaltig, denn er markiert den DCP als eine unorganisierte Veranstaltung, die im Moment ihren eigenen Normrahmen nicht lebt, beliebig schaltet und waltet und nur durch deren nicht zu verachtende finanzielle Ausschüttungen ernst genommen wird. Egal ob beabsichtig oder nicht: Der in der Videospielbranche einbeschriebene Widerspruch, der durch die nicht vereinbaren Logiken der Wirtschaft („Zeit ist Geld“) und Kunst („Ein Werk braucht Zeit“) entsteht, machen sich die Ausrichter im Moment eher zu Nutze, anstatt die Preisvergabe als einen Moderator zum Erhalt der Kunstform gegenüber wirtschaftlichen Zwängen zu etablieren, wie dies anderen Bereichen der Kulturförderung in Deutschland durchaus üblich ist.

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