XCOM 2 Selbsterfahrung in emotionalen Achterbahnfahrten

Hannes Letsch12 Minuten Lesezeit

Übersicht
2K Games, 2016

20 Jahre nach „XCOM: Enemy Unknown“ (Firaxis Games, 2012) kämpft die XCOM-Fraktion immer noch gegen eine aggressiv agierende, erdenfremde Spezies. Dabei verschafften sich die Aliens durch eine Koalition, die durch ihren kontinuierlichen Erfolg nun in der Lage ist institutionell die Menschheit zu unterdrücken, eine hegemoniale Stellung. Der Spieler schlüpft in diesem Szenario in die Rolle eines neuen, alten Kommandanten, um die Widerstandsbewegung zum Vergeltungsschlag gegen diese Koalition zu führen - in der Hoffnung die Eindringlinge wieder von der Erde zu vertreiben. Nebst diesem Hauptziel versuchen sich die Rebellen daran, ein Projekt zu stoppen, das auf den Namen „Avatar“ hört und mehr oder weniger eine „Endlösung“ darstellt, die den Sieg der Außerirdischen endgültig besiegeln würde. Mehr muss dieser Einblick zum Narrativ nicht verraten; mitunter auch deshalb, weil dieses nicht der Fokus des Spiels ist, sondern vielmehr einen Wegbereiter darstellt.

XCOM 2‘ Elemente und Wegbereiter zum Spaß

Sicherlich handelt es sich bei „XCOM 2“ immer noch um das recht bekannte, wenn nicht gar abgedroschene „Aliens gegen Menschen“-Szenario. Allerdings ist das eingangs beschriebene Narrativ im Vergleich zu „Enemy Unknown“ erfreulicherweise besser. Teilweise könnte man dank einiger unvorhergesehener Wendungen und Enthüllungen sogar von Spannung sprechen. Alle vorgestellten Charaktere sind auf ihre Weise eigen und sympathisch; jeder von ihnen bekam zumindest eine halbwegs nachvollziehbare, nicht zu flache Hintergrundgeschichte. Dennoch erscheint das Unternehmen seitens der XCOM-Fraktion in den ersten Szenen des Spiels etwas an den Haaren herbeigezogen und drückt das Spiel in eine fast schon lächerlich wirkende Heldenepos-Ecke. Das Arrangement, dass es die Erde zurückzuerobern (anstatt sie zu verteidigen) gilt, kompensiert das Ganze allerdings etwas, denn es ist eine willkommene Abwechslung und hält den Spieler bei der Stange.

2K Games, 2016

Die visuelle Ausgestaltung und die damit verbundenen Funktionen der Rebellencharaktere, deren Ausrüstungen sowie der gegnerischen Aliens sind weitere und wichtige Kontextbausteine des Spiels: Allein das Aussehen eines „Berserkers“ lässt den Spieler erahnen, dass man in großen Schwierigkeiten steckt, sollte man diesen planlos frontal attackieren. Das Überfliegen des Schlachtfeldes lässt sofort erkennen, welche Gegnertypen einem entgegengestellt werden. Kurz: Die Anhänger der Koalition sind in optischer Hinsicht das, was „XCOM 2“ auszeichnet. Die Möglichkeiten, als Kommandant der XCOM seine Kämpfer auszustatten und in ihrer Erscheinung zu ändern, wurden im Vergleich zu „XCOM: Enemy Unkown“ spürbar erweitert. Der Spieler kann auf ein Reservoir, bestehend aus Dutzenden von Stimmen, Gesichtern, Haartypen und Frisuren, Narben, Tattoos, Rüstungsvarianten, Farbmustern und sogar Gesinnungen zurückgreifen. Letzteres beeinflusst sogar die Haltung und die Gangart des jeweiligen XCOM Soldaten.

Die Idee einer Mischung aus einem rundenbasierenden Squad-Schachspiel und einem größeren kartographischen Strategiespiel funktioniert immer noch: Während man einerseits ein Vierer-Team immer wieder entsendet, um Missionen erfolgreich abzuschließen (hier liegt der Kern des Spiels) stellt das zweite Element den Spieler vor Management-Aufgaben. Die gesamte Widerstandsbewegung ist auf einem gekaperten Alienraumschiff namens „Avanger“ stationiert, das in seinen einzelnen Sektoren (Wissenschaftsabteilung, Rüstungs- und Waffensektor und so weiter) erweiterbar ist und ausgebaut werden kann. Gleichzeitig muss ein soziales Netzwerk global aufgebaut werden, um Verbündete gegen die Koalition zu mobilisieren und verschiedene Einrichtungen und Anlagen außerhalb des eigenen Schiffs aufbauen zu können.

2K Games, 2016

Um dem Ganzen die Krone der Komplexität aufzusetzen muss simultan das bereits vorgestellte Projekt „Avatar“ im Hinterkopf behalten werden. Während man damit beschäftigt ist, die XCOM-Bewegung größer werden zu lassen, sitzt einem der Fortschritt der Konkurrenz immer im Nacken. Sollte das Projekt vollendet werden können, so ist das Spiel automatisch verloren. Dieses sogenannte „Panik System“ wurde aus „Enemy Unkown“ übernommen und verrichtet seine Dienste, den Schwierigkeitsgrad des Spiels anzuheben, außerordentlich gut. Jeden simulierten Monat versuchen die Aliens drei verschiedene Teilziele, sogenannte „Dark Events“, zu erreichen. Bei Vollendung dieser verschaffen sie der Koalition spürbare Vorteile. Anstatt also sich darüber Gedanken zu machen, welcher Teil der Erde nun am ehesten Unterstützung erhalten sollte, besteht die Aufgabe in „XCOM 2“ vornehmlich darin, zu entschieden, welches der drei Teilziele am ehesten verhindert werden muss und welche Ressourcen als nächstes ergattert werden sollten, um die Menschheit nicht gänzlich untergehen zu lassen.

XCOM2‘ Probleme

Im Moment besitzt das Spiel immer noch einige kleinere Kinderkrankheiten, die hoffentlich in naher Zukunft komplett ausgebügelt werden. Sicherlich ist die auf Runden basierende, einem Schachspiel sich stark ähnelnde Spielmechanik nicht davon abhängig, dass das Spiel flüssig läuft. Die Ruckler, visuellen Glitches, seltsame Kameraeinstellungen sowie insbesondere Abstürze trüben den Spielspaß trotzdem, weil die Immersion, das heißt die Geschichte, die jeder Kampft erzählt, dadurch ins Stocken gerät. Das Klassensystem sowie die Spielmechaniken der Squad-Missionen wurden von den Entwicklern aus „Enemy Unkown“ übernommen, um anschließend an einigen Stellschrauben zu drehen. Die verschiedenen Klassen bekamen dadurch weitere distinkte Fähigkeiten spendiert, um die Unterschiede zwischen ihnen besser herauszukitzeln. Leider blieben die bereits bekannten Probleme bestehen, denn in jeder Klasse ist einer der Fähigkeitsstränge klar besser ist als alle anderen. Eine wirkliche Balance zwischen den verschiedenen Subgruppen einer Klasse wurde also bisher nicht gefunden.

Die Entscheidung, sämtliche Möglichkeiten eines taktischen Basisaufbaus aus dem Spiel zu nehmen, ist ein Dorn im Auge. In „Enemy Unknown“ war es möglich, verschiedene Gebäude oder Einrichtungen zu bauen und miteinander zu verbinden, um gewisse Boni zu erhalten. So erhielt man beispielsweise beim Bau mehrerer Satellitenrelais zusätzlichen Platz für weitere. Damit wurde der Spieler für taktisch kluge Baupolitik belohnt. Nun ist es hingegen möglich, alles überall zu bauen. Die einzelnen Sektoren des Raumschiffs können ohne vorherige Bauvorhaben erweitert und verbessert werden.

2K Games, 2016

Weitere Kritik betrifft die seltsamen Wahrscheinlichkeitsangaben für Treffer während einer Squad-Mission: Die Natur von „XCOM 2“ fordert vom Spieler, einerseits das Eigenrisiko zu minimieren und andererseits das eigene Schadenspotentional zu maximieren. Je näher ein Kämpfer einem Gegner kommt, desto wahrscheinlicher ist es, dass er ihn trifft und umgekehrt. Dass Werte wie „50%“ und „80%“ durchaus keine sicheren sind, und es deshalb vorkommen kann, dass ein Angriff danebengeht, ist durchaus nachvollziehbar. Wie es aber sein kann, dass ein Schwertangriff mit einer Wahrscheinlichkeit von „95%“, einem fast sicheren Ereignis, des Öfteren danebengehen kann, bleibt unerklärlich und lässt nur Ärger beim sich mühenden Spieler zurück. Genauso sollte eine sichere Trefferwahrscheinlichkeit auch zu einem Treffer führen und nicht nur Teilschaden verursachen oder gar danebengehen, weil sich der Gegner plötzlich duckt. Die Wahrscheinlichkeitsausgaben sind irreführend und sollten deshalb nicht als Grundlage während des Kampfes verwendet werden.

Emotionale Achterbahn

Der Kern des Spielspaßes von „XCOM 2“ versteckt sich in den Squad-Missionen: Abseits der rundenbasierten Vorgänge im Spiel, durchläuft der Spieler während des Fortschreitens einer Mission und der Geschichte mehrmals das gleiche emotionale Muster, das durch den beschriebenen Kontext immer wieder initiiert wird. Als Commander der Widerstandsbewegung wird man wirkungsvoll mehrfach vor kleine bis große Krisen gestellt, egal ob man will oder nicht. Diese sind nicht nur herausfordernd, sondern bedeuten immer Stress auf das bereits aufgebaute Team. Sie lassen einen emotional nicht kalt, können durchaus anstrengend sein aber sind zugleich so konstruiert, dass sie den Spieler nicht abschrecken.

Der Faktor für diese Gefühlsachterbahn ist die Tatsache, dass verwundete Soldaten lange Zeit ausfallen, bevor sie wieder einsatzfähig sind. Das deutet bereits an, dass das Spiel „keinen Spaß“ versteht, wenn es um das Thema „Verlust“ geht: Tot meint in „XCOM 2“ tatsächlich unumstößlich tot. Der Soldat, in den man auch in charakterlicher Hinsicht (Aussehen und Eigenheiten) immens viel Zeit investiert hat, ist dann nicht mehr wiederzubeleben. Das kann in doppelter Hinsicht emotional mitreißend sein: Neben der spürbaren Schwächung des Einsatzteams kann auch eine Bindung zum erstellten Charakter zum Tragen kommen. Hadern, Zaudern, Hoffnung und Euphorie finden in recht hoher Schlagzahl zueinander.

Eine Neuerung und Nerven schonenende Erleichterung ist der Status des Squads zu Beginn einer Mission: Alle Soldaten genießen das Privileg unentdeckt zu sein und bleiben dies auch, bis einer von ihnen ins Sichtfeld eines Gegners läuft, ein Fenster zerbrechen lässt oder das Team als Ganzes einen Hinterhalt ausführt. Damit haben die Entwickler ein gut funktionierendes System geschaffen, das das Spieltempo auf hohem Niveau hält und geschicktes sowie taktisch kluges Vorgehen belohnt.

2K Games, 2016

Diesem Vorteil setzen die Entwickler harte Grenzen, denn gleichzeitig wird der Gegner zusehends stärker - und zwar nicht nur in Nuancen. Während man selbst versucht, neue Waffen und Rüstung in ständigem Zeitdruck zu entwickeln, verfügen die Aliens über die Technik der Psychokinese und können sich teleportieren oder duplizieren sowie Energiefelder installieren. Letztere machen Waffen unbrauchbar und explodieren, wenn man sich nicht schnell genug aus ihre, Einflussbereich bewegt. Entscheidungen in der Waffen- und Rüstungsentwicklung, die man Stunden zuvor getroffen hat, können spätestens in solchen Momenten des erstarkten Gegners bereut werden.

Dieses Szenario steigert sich ins fast schon Lächerliche: Die letzte Mission im Spiel. Diese ist derart knifflig ausgestaltet, dass man sie als unfair bezeichnen kann, was aber aufgrund des dahinterstehenden Narratives nur eine logische Konsequenz ist. Weil die Missionen so anspruchsvoll sind, ist es gleichsam sehr zufriedenstellend, wenn man dise erfolgreich abschließt. Das Wissen darum, dass es immer möglich ist, komplett unter die Räder zu geraten und in einer Mission der Hilflosigkeit entgegentreten zu müssen, macht das Spiel zwar anstrengend, gleichsam bedeutet es aber auch eine immense Genugtuung.

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Der Wiederspielwert ist überraschend hoch, da sich die Missionen in ihren Zielen nur recht selten wiederholen. Der Spieler verschiedene Rettungs-, Beschaffungs- und Angriffsmissionen, die wiederum mit verschiedenen Kleinzielen bestückt sind, bestehen. Jedes dieser Kleinziele verlangt eine andere Herangehensweise, vor allem, wenn sie in einer begrenzten Rundenanzahl bewältigt werden müssen. Dabei gestaltet sich ein und die gleiche Mission in ihrer Konstellation jedes Mal anders, sodass ein gewisser Wiederspielwert garantiert ist. Die Kehrseite ist allerdings, dass der dahinterstehende Zufallsmechanismus ab und an recht unfair ausfallen kann: So kann es passieren, dass einer der schwersten Gegner recht nahe am sich berappenden Team platziert wird, was fast automatisch zum Scheitern führt.

Bisher das beste XCOM?

„XCOM 2“ baut in erster Linie auf das vorgestellte Emotionspattern und seine taktische Versiertheit. Die Entwickler fanden clevere Wege, um den Kern des Spiels in kleinen, aber zusammenhängenden Geschichten zu kontextualisieren. Allerdings überzeugt die eingebettete Geschichte nicht gleichwertig zu der, die der Spieler im Spiel selbst gestaltet. Das größte Teil des Narratives wird in Form von Monologen seitens der Ingenieure und Wissenschaftler auf der „Avenger“ vermittelt, die ab und an inhaltsstark einen Blick in deren persönliche Lebensgeschichten eröffnen, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. Eine Mission in „XCOM 2“ löst meistens beim Spieler mehr Emotionen aus, als andere Spiele in Gänze. Wer sich für diesen Titel entscheidet, solle sich auf Begeisterung, Frustration, Stolz, Aufregung, und Wut einstellen. Das klingt nur scheinbar, als sei „XCOM 2“ einfach nur mehr vom Gleichen: Die Missionen, Charaktere und Spielmechaniken wurden spürbar verbessert. Selbst wenn man den Mehrspielermodus und die zahlreichen „Mods“, die die Community bereits für das Spiel erarbeitet hat, ausblendet, kann „XCOM 2“ qua Emotionsachterbahn erinnerungswürdige Momente entstehen lassen. Es ist eines dieser seltenen Spiele, das derart fesselnd und (emotional) herausfordernd ist, dass man am liebsten Freunde hinzuziehen möchte, um gemeinsam all das zu bewältigen, was „XCOM 2“ einem als Herausforderungen entgegenstellt.

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